Norwegisches Mordgeständnis
Hatte sich die norwegische ESC-Vorentscheidung in den letzten Jahren sehr deutlich am schwedischen Melodifestival orientiert, präsentierte sich der Melodi Grand Prix 2015 in neuem Gewand. Die eng getakteten Semifinalrunden hatten im Vorjahr nur enttäuschende Einschaltquoten erzielt, weshalb nun sämtliche Anstrengungen in einer einzigen Show gebündelt werden sollten - pikanterweise zeitgleich mit dem ehemaligen schwedischen Vorbild. Erstmals seit 17 Jahren kam wieder ein Live-Orchester zum Einsatz, was mit einer kollektiven Performance aller Teilnehmer zu den Klängen von "Dschinghis Khan" gefeiert wurde. Die neu gewonnene Klangfülle kam in satten Streicher- und Bläsersätzen zum Tragen, und das quer durch alle Genres. Schade nur, dass die Show einen sonst eher altbackenen Eindruck hinterließ, was in erster Linie an der musikalischen Auswahl lag, die nicht an die Qualität der Vorjahre heran reichte, obwohl gegenüber 2014 30 Prozent mehr Titel eingereicht worden waren.
Moderne Pop-Ballade
Während man in Schweden den voraussichtlichen Gewinner des kommenden Song Contests in Wien feierte, wählten die Norweger die beiden ESC-Veteranen Tor Endresen und Elisabeth Andreassen ins Superfinale, wo sie gegen den Spaß-Song "En godt stekt pizza" von Staysmann & Lazz, Casting-Star Erlend Bratland und das Duo Kjetil Mørland & Debrah Scarlett antreten mussten. Deutlich mehr Zuschauer als im Vorjahr beteiligten sich an der finalen Abstimmung, die zum Schluss richtig spannend wurde, als Mørland & Debrah Scarlett dem führenden Erlend Bratland den Sieg vor der Nase wegschnappten. Ihre Pop-Ballade "A Monster Like Me" ist ein feines, elegantes Stück moderner Popmusik, das nicht nur wegen seines außergewöhnlichen Textes - es geht um einen in der Kindheit begangenen Mord - in der norwegischen Vorentscheidung wie ein Goldnugget glitzerte, beim internationalen Wettbewerb allerdings Gefahr läuft, in der Balladenflut unterzugehen.