Turkvision - ein Contest und viele Gewinner
Man merkte allen Beteiligten die Erleichterung an, als am Samstagabend gegen 20.30 Uhr Ortszeit das Finale des 3. Turkvision Song Contests erfolgreich über die Bühne gegangen war. Trotz aller Bemühungen waren angesichts massiver technischer Probleme bei der ersten Durchlaufprobe tags zuvor bei vielen Künstlern Zweifel aufgekommen, ob die Veranstaltung den Ansprüchen der angereisten Delegationen wirklich gerecht werden würde. Erst Freitagnachmittag war die Kameratechnik aufgebaut worden, und Regisseurin Didar Şahin hatte alle Hände voll zu tun, den Anwesenden lautstark den geplanten Ablauf zu erklären, der im Vorfeld nur unzulänglich kommuniziert worden war.
Improvisation ist Trumpf
Der Aufwand, der sonst für die Übertragung eines solchen Contests erforderlich ist, wurde in Istanbul mit türkischer Improvisationsfähigkeit kompensiert. Das, was beim ESC sonst in zwei Wochen geprobt wird, musste in zwei Tagen durchgepeitscht werden. Die Künstler brachte man dadurch allerdings an die Grenze ihrer Belastungsfähigkeit: "Sieben Mal haben wir uns aufgewärmt, weil uns gesagt wurde, dass wir gleich auf die Bühne müssen. Und dann hieß es doch wieder: warten", berichtet die deutsche Teilnehmerin Derya Kaptan, die für ihren Auftritt eine aufwendige Choreographie entwickelt hatte. Als sie und Tänzer Joseph Simon dann endlich proben durften, konnte die Lichttechnik mit dem geplanten Konzept kaum Schritt halten. Entsprechend groß war die Frustration im Team.
Fernseherfahrung statt Proben
An fehlender Professionalität lag das Ganze allerdings nicht. Man merkte, dass überall Top-Leute des türkischen Fernseh- und Unterhaltungsgeschäfts am Werke waren. Allerdings standen sie unter dem enormen Druck, in unverhältnismäßig kurzer Zeit eine erfolgreiche Show auf die Beine zu stellen, deren Existenz alleine dem politischen Willen geschuldet ist. Dazu kam die interne Herausforderung, die unterschiedlichen und zum Teil widersprüchlichen Interessen der angereisten Delegationen miteinander zu vereinbaren. Für die Umsetzung künstlerischer Bühnenkonzepte oder gar spezifische Kameraproben blieb dabei nur wenig Spielraum. Die Künstler mussten sich ganz auf die Erfahrung der TV-Leute vor Ort verlassen.
Kurzweilige Show
Dennoch schaffte es das Team von TMB (Türk Müzik Birliği), am Samstagnachmittag eine technisch zwar gewiss verbesserungsfähige aber dennoch aufwendige und vor allem kurzweilige Show auf die Beine zu stellen. Nachdem die offiziellen Grußworte ausreichend Raum für die in der Türkei unvermeidlichen Werbeunterbrechungen gelassen hatten, eröffnete Deutschland ("Almanya") den Reigen der Teilnehmer, die in alphabetischer Reihenfolge an den Start gingen. Dabei hätte der eine oder andere Beitrag auch auf der ESC-Bühne eine gute Figur gemacht. So präsentierte Adis Škaljo seine Heimat Bosnien-Herzegowina mit eingängigem Balkan-Pop ("Pa šta"), während die Kirgisin Jideş İdrisova sich mit dem flotten "Kim Bilet" (Wer weiß) als neue Ruslana empfahl. Kein Wunder, dass Kirgisien am Ende mit 194 Punkten den Wettbewerb für sich entscheiden konnte.
Preise und Politik
Für das deutsche Team blieb dagegen nur ein Mittelfeldplatz übrig. Dafür wurden Derya Kaptan und Komponist Volkan Gücer - nachdem bei der eigentlichen Punktevergabe viel politische Rücksichtnahme geübt wurde - für ihren Song "Sessiz Cığılık" mit dem Sonderpreis der Jury für das anspruchsvollste Lied ausgezeichnet. Der eigentliche Gewinner des Abends hieß allerdings Adil Şan. Er vertrat mit dem Titel "Geliş" (Entwicklung) die syrischen Turkmenen - und zwar nicht nur im musikalischen Sinn: "Wir sind eine Volksgruppe, die von ISIS bedroht und von den Russen und Assad bombardiert wird", erklärte er im Interview. "Deshalb ist es so wichtig, dass wir an diesem Song Contest teilnehmen, damit wir von der Welt nicht vergessen werden." In dem kraftvollen Beitrag schildert der Sänger, wie die Turkmenen nach Syrien kamen.
Nächstes Jahr in Baku?
Am Ende landeten die syrischen Turkmenen auf einem guten 5. Platz und wurden zusätzlich noch mit dem "Sympathiepreis" ausgezeichnet. Die irakischen Turkmenen erhielten im Gegenzug den "Friedenspreis". So waren am Ende der Veranstaltung alle mit dem Ergebnis zufrieden - vor allem die Veranstalter, die den Wettbewerb gegen alle weltpolitischen Widrigkeiten durchgesetzt haben. Mittlerweile wurde verlautbart, dass der nächste Turkvision Song Contest in Aserbaidschan stattfinden soll, doch auch die einflussreichen Kasachen wollen den Wettbewerb ins eigene Land holen. Es bleibt abzuwarten welches der beiden Lager sich am Ende durchsetzen wird.
Wer das Finale 2015 verpasst hat, kann es sich hier noch einmal anschauen.