Slowenien: Auf Siegeszug mit Volksmusik
Die versteinerten Gebeine eines Bären haben 1995 Musikwissenschaftler und Anthropologen in helle Aufregung versetzt: Bei dem durchlöcherten Oberschenkelknochen, den man bei Ausgrabungen in einer Höhle im slowenischen Divje Baba entdeckte, könnte es sich um eine über 40.000 Jahre alte Neandertaler-Flöte und damit das älteste erhaltene Musikinstrument der Welt handeln. Noch streitet die Fachwelt heftig darüber, ob es sich wirklich um eine Flöte oder um ein Zufallsprodukt durch Tierverbiss handelt, denn aus dem Fund könnte geschlussfolgert werden, dass der Mensch schon Musik machte, bevor er zu sprechen anfing.
Kulturelle Eigenständigkeit
Nicht ganz so früh aber, doch schon im 9. Jahrhundert beginnt die Geschichte der slowenischen Musik. Durch den Einfall der Magyaren wurden die Slowenen von den übrigen slawischen Stämmen getrennt und entwickelten eine eigene Sprache und Kultur. Die spätere Fremdherrschaft von Venezianern und Habsburgern hinterließ bleibende Spuren, und so sind die kulturellen Bindungen zum italienisch- und deutschsprachigen Raum noch heute stark ausgeprägt. Eine eigenständige klassische Musikkultur entstand in Slowenien erst Mitte des 19. Jahrhunderts im Zuge der europäischen Nationalstaatenbewegungen. Mit dem Zerfall des Habsburgerreiches 1918 gingen die slowenischen Gebiete dann im neu gegründeten Jugoslawien auf. Nach dem Zweiten Weltkrieg konnte Slowenien seine wirtschaftliche und vor allem kulturelle Eigenständigkeit innerhalb der Jugoslawischen Volksrepublik jedoch weitgehend aufrecht erhalten.
Slovenska Popevka
Nach der Machtübernahme der Kommunisten war es mit den italienischen und deutschen Einflüssen in Slowenien vorerst vorbei, zumindest musikalisch: Die ehemals beliebten Schlager und Canzoni der faschistischen Feinde wurden 1945 per Dekret aus dem Hörfunk verbannt, und auch "amerikanische Propagandamusik" (Jazz) durfte nicht mehr aus dem Radio klingen. Um das entstandene Vakuum zu füllen, wurde eine neue, "authentisch slowenische" Unterhaltungsmusik ins Leben gerufen - Slovenska Popevka. Die Resonanz war überwältigend, und schon bald entstand eine florierende Schlagerindustrie, deren führende Vertreter die Volksrepublik Jugoslawien mehrmals beim Eurovision Song Contest repräsentieren durften. Um eine größere Verbreitung zu erreichen, wurden allerdings viele Aufnahmen in serbokroatischer Sprache eingesungen.
Original Oberkrainer
Parallel zur Slovenska Popevka erlebte die volkstümliche Musik in Slowenien einen beispiellosen Siegeszug. Urheber dieser Volksmusik-Welle war der ehemalige Skispringer Slavko Avsenik, dessen Original Oberkrainer Quintett weit über die Grenzen Sloweniens Berühmtheit erlangte. Dabei hat der Oberkrainer-Sound mit der traditionellen slowenischen Volksmusik nur wenig zu tun. Das Besondere daran sind die vergleichsweise modernen Arrangements, die zahlreiche Elemente aus der Jazzmusik aufgreifen. Vielleicht ist dies der Grund, weshalb Avseniks Kompositionen auch in den USA geschätzt werden, wo die "slowenische Polka" in der Gegend um Cleveland eine enorme Popularität genießt. Mit knapp 1.000 Eigenkompositionen gilt Avsenik den Amerikanern als "Johann Strauß des 20. Jahrhunderts".
Punk und "Neue Slowenische Kunst"
Die Rockmusik hielt vergleichsweise spät Einzug in die slowenische Unterhaltungsmusikszene. Sie konnte sich Ende der 1960er-Jahre dann aber doch in gemäßigter Form etablieren und verschmolz schließlich mit der Slovenska Popevka zu einer auch von den Medien akzeptierten, orchesterlastigen Popmusik. Wesentlich nachhaltiger wirkte sich die Punkbewegung aus, die das Protestpotenzial der slowenischen Jugend spiegelte und die politischen Umwälzungen in den 1980er-Jahren und danach musikalisch begleitete. Das aus dieser Bewegung hervorgegangene Künstlerkollektiv "Neue Slowenische Kunst" steuerte mit der umstrittenen Industrial-Band Laibach die bis heute wohl erfolgreichsten Musiker des Landes bei.