Stand: 14.10.2008 15:12 Uhr

Niederlande: Meister des Schmachtfetzens

Holzschuhe in einem Souvenirgeschäft in Amsterdam © picture alliance / ZB Foto: Waltraud Grubitzsch
Bekannte Souvenirs aus Holland: bunt bemalte Holzschuhe.

Obwohl die Niederlande zu den führenden Musikexportnationen in Europa zählen, geraten selbst Fachleute auf die Frage nach einer typisch niederländischen Unterhaltungsmusik in Erklärungsnot: Für den Export produziert wird in erster Linie auf Englisch, und der niederländische Beitrag zur europäischen Musikkultur trägt nur selten klar erkennbare nationale Züge. Wer jedoch näher hinschaut, entdeckte bei unseren westlichen Nachbarn einige sehr spezifische musikalische Besonderheiten.

Holzschuhtanz

Als Volk von Händlern und Seefahrern kamen die Niederländer schon seit dem frühen Mittelalter mit den musikalischen Einflüssen benachbarter Völker in Berührung. Entsprechend spiegeln sich in der niederländischen Folklore Elemente der englischen, französischen aber auch deutschen Volksmusik wider. Selbst der "typische" Holzschuhtanz ist keine lokale Erfindung, sondern vereint Schrittfolgen der französischen Contredanse mit walisischem Clog Dancing. Da niederländische Holzschuhe allerdings nicht an den Füßen befestigt werden können und schnelle Tanzschritte somit unmöglich machen, orientiert sich der einheimische Holzschuhtanz nicht an der schnellen, meist fröhlichen Melodie im 2/4-Takt, sondern an der behäbigeren Basslinie.

Geusen-, Levens- und Luisterlied

Als Teil des Habsburgerreiches mussten sich die Niederlande ihre Unabhängigkeit über viele Jahrhunderte erkämpfen. Ihre bewegte Geschichte wurde in so genannten Geusenliedern festgehalten, den Gesängen der niederländischen Freiheitskämpfer, zu denen auch die Nationalhymne "Wilhelmus van Nassauwe" zählt. Wie in vielen anderen Ländern spielten fahrende Sänger für die Überlieferung der musikalischen Tradition eine wichtige Rolle. Sie unterhielten ihr Publikum durch moralisierende "Levenslieder", in denen, begleitet von Akkordeon oder Drehorgel, zumeist tragische Alltagsschicksale besungen wurden. Ihr hintergründigeres Pendant sind die sozialkritischen "Luisterlieder", die in Deutschland vor allem durch Herman van Veen bekannt wurden.

Smartlap vs. Schlager

Lenny Kuhr vor der niederländischen Flagge (Bildmontage) © Fahne: Fotolia, Quelle Künstler: picture-alliance / dpa Foto: Fahne: Juergen Priewe, Fotograf Künstler: Europa Press
Die Sängerin Lenny Kuhr trat 1969 beim ESC für die Niederlande an - und gewann.

Noch Anfang des 20. Jahrhunderts wurden die Inhalte der Levenslieder von den Sängern auf Bildtafeln optisch dargestellt, wie dies auch in Kirchen für die Ereignisse der Karwoche auf großformatigen Fastentüchern, den Smartlappen, üblich war. Im Laufe der Zeit wurde Smartlap zum Schmähwort für besonders sentimentale Musikstücke, aus dem sich auch der deutsche Begriff "Schmachtfetzen" ableitet. Bis heute erfreut sich Smartlap einer ungebrochenen Beliebtheit und teilt sich mit dem Schlager die Gunst des Publikums. Dabei sind die Genregrenzen fließend, und im gemeinsamen Bedürfnis nach Herzschmerz werden auch nationale Schranken hinfällig: Niederländische Künstler sind in Deutschland ebenso beliebt wie deutsche Schlagersänger bei den Niederländern.

Nederpop

Ihre Rock- und Popmusik verdanken die Niederlande der kolonialen Vergangenheit des Landes: Es waren Musiker indonesischer Herkunft, die in den 1950er-Jahren den amerikanischen Rock'n'Roll für sich entdeckten und so zum Vorbild für viele Nachwuchsbands wurden. Auf diese Weise entstand eine vibrierende nationale Musikszene, die auch im Ausland große Erfolge feierte. Es dauerte jedoch viele Jahre, bis die Vorbehalte gegen die eigene Muttersprache überwunden werden konnten. Erst in jüngerer Zeit findet sich in den Charts neben Smartlappen und Nonsens-Songs auch ein breit gefächertes Popmusikangebot in niederländischer Sprache, wobei auch Dialektsongs (vor allem auf Friesisch) die Massen begeistern. Die musikalischen Hauptexportartikel der Niederlande kommen indes meist ohne viel Text aus: Dance und Trance.

Dieses Thema im Programm:

Das Erste | Eurovision Song Contest | 13.05.2017 | 21:00 Uhr

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