Frankreich: Exporteur von Weltmusik
Wer an Frankreich denkt, dem kommen neben Baskenmütze und Baguette auch gleich beschwingte Akkordeonklänge in den Sinn: Der Musette-Walzer gilt als das Klischee für französische Musik schlechthin und sorgt erst für das richtige Paris-Feeling. Dabei war der "bal musette" ursprünglich die Musik der Zuwanderer aus der Auvergne, die während der industriellen Revolution in die Metropole gekommen waren, um ihrer bitteren Armut zu entfliehen. Das sonntägliche Tanzvergnügen zur Begleitung von Musette - einer Art Dudelsack - und Drehleier wurde auch von italienischen Einwanderern geschätzt, die aus ihrer Heimat das Akkordeon mitgebracht hatten. Schon bald hatte das fremde Instrument den Musette-Dudelsack verdrängt und die französischste aller Musikrichtungen war geboren.
Royale Klassik und proletarische Unterhaltungsmusik
Überhaupt gingen im zentralistisch geprägten Frankreich die meisten musikalischen Impulse von Paris aus. Hofstaat und Klerus bescherten vielen klassischen Komponisten ein Auskommen - auch Marc-Antoine Charpentier, dem wir die Eurovisionshymne zu verdanken haben. Entscheidend für die Verbreitung der Unterhaltungsmusik hingegen war die Entstehung der Konzertcafés im 19. Jahrhundert, deren bunte Musikdarbietungen inmitten der Café-Tische bei Verzehr kostenlos waren. Sie wurden nach dem Ersten Weltkrieg von so genannten Music-Halls wie dem Olympia oder den Folies Bergère abgelöst, wo exotische Tänzerinnen wie Joséphine Baker in ihrem berühmten Bananenkostüm das Publikum mit frivolen Musikrevuen begeisterten.
Reiche Chansontradition
Sehr viel kleiner und intimer, dafür von Künstlern, Schriftstellern und Avantgardisten bevorzugt, waren die "cabarets", in denen Lieder mit realitätsbezogenen Texten und minimalistischem Arrangement vorgetragen wurden. Aus diesen "chansons réalistes" entwickelten sich nach dem Zweiten Weltkrieg die "chansons d'auteur", die ihr Publikum in den kleinen Kellerlokalen des Pariser Stadtteils Saint-Germain fanden und am ehesten der deutschen Vorstellung von Chanson entsprechen. Hier findet sich auch die Inspirationsquelle für die Generation junger Interpreten, die in den letzten Jahren als "Nouvelle Scène Française" dem Chanson wieder internationale Geltung verschafft hat.
Quoten und Kolonien
Als der Anteil französischer Musik gegenüber ausländischen Produktionen Ende der 1980er-Jahre unter 50 Prozent sank, wurde 1994 eine Quotenregelung eingeführt: 40 Prozent der gesendeten Titel müssen französischsprachig sein, die Hälfte davon Neuerscheinungen. Dies führte zu einem enormen Kreativitätsschub, vor allem bei Künstlern mit Migrationshintergrund. Die Musik der ehemaligen Kolonien - zum Beispiel der algerische Raï - besitzt mittlerweile einen festen Platz in der französischen Musiklandschaft und macht das Land zu einem der führenden Exporteure für Weltmusik.
Von Yéyé bis French Touch
Natürlich gingen die Einflüsse von Rock'n'Roll und Beatmusik nicht spurlos an der französischen Szene vorbei. Stets gelang es Komponisten und Interpreten jedoch, den neuen Strömungen eine eigene Note zu verleihen. Der "Yéyé" der 60er-Jahre - abgeleitet vom Englischen "yeah yeah" - brachte Künstler hervor, die noch heute Kultstatus besitzen, Johnny Hallyday oder Serge Gainsbourg etwa. Auch Disco und New Wave fanden eigene Ausprägungen, meist interpretiert von Sängerinnen mit charakteristisch dünnem Stimmchen. Die Originalität der französischen House-Musik machte in den 1990er-Jahren den "French Touch" international erfolgreich und bereitete dem Siegeszug französischer Electronic-DJs wie David Guetta den Boden.