Stand: 05.06.2014 13:58 Uhr

60 Jahre Hymne der Eurovision

Logo der ARD in der Eurovision © NDR/WDR
Flimmerte schon über Fernseher in unzähligen Wohnzimmern: Das Logo der Eurovision - hier die Version aus dem Jahr 1984.

Nein, diese Hymne kommt aus keinem Musikmischerlabor. Diese Noten, diese Töne der Erhabenheit, des Feierlichen stammen vom Komponisten Marc-Antoine Charpentier. Die Auftakttonspur vor jedem ESC ist jedoch nicht die ESC-Hymne selbst. Es gibt sie nämlich nicht. Was aber ist dann dieses "Te Deum" des französischen Komponisten, das der Überlieferung nach das Ende eines französisch-englischen Krieges illustrieren sollte? Dass es zur populären Hymne wurde, zu einer Notenfolge, die überall in Europa (und nicht nur dort) als europäisch und nicht nur national wahrgenommen wird, liegt an einer Entscheidung, die viel mit der Zeit nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs zu tun hat.

Wer hat "Te Deum" für Europa entdeckt?

Im Jahr 1950 wurde die European Broadcasting Union gegründet, ein Netzwerk öffentlich-rechtlicher Radio- und Fernsehsender. Es war keine Organisation mit in erster Linie politischem Inhalt. Vielmehr sollte die EBU, so die Kurzform, Länder und Fernsehcommunities zusammenschließen - und zwar eigentlich alle in Europa. Doch der realsozialistische Osten wollte dies nicht, von Jugoslawien abgesehen. Ziel war es, Fernsehsendungen in mehreren Ländern gleichzeitig auszustrahlen - und vor diese Sendungen legte man als Zeichen der europäischen Übernationalität das "Te Deum". Wer genau auf die Idee kam, gerade Charpentiers Komposition zu wählen, ist nicht ganz geklärt. Die einen sagen, es sei ein Vertreter der BBC gewesen, andere sprechen von einem Zufallsfund eines niederländischen Fernseh- und Rundfunkmenschen. Jedenfalls: Diese Hymne wird dann gespielt, wenn mindestens drei Länder gleichzeitig eine Show, eine Sendung, ein Ereignis übertragen - live wohlgemerkt.

Live-Sendungen für ganz Europa

1953: Krönunszeremonie für Elizabeth II. © picture alliance / Everett Collection
Die Krönungszeremonie für Elizabeth II. im Jahr 1953 war die erste Live-Sendung der EBU. Die Eurovisionshymne wurde erstmals 1954 gesendet.

Die erste Livesendung der EBU war die Übertragung der Krönung von Elizabeth II. im Vereinigten Königreich im Jahr 1953. Trotz sehr mangelhafter Dichte an TV-Gerätschaften in Europa trug die Sendung ziemlich zur Popularisierung bei. Die erste offizielle Eurovisionssendung lief dann am 6. Juni 1954 - und damit kam auch das "Te Deum" erstmals zum Einsatz. Die Eurovisions-Premiere wäre heutzutage nicht gerade ein Quotenhit gewesen: Es war die Übertragung des Narzissenfestes im schweizerischen Montreux.

Seit damals sind viele europäisch-öffentlich-rechtliche Shows mit der Eurovisionshymne eröffnet worden. Am populärsten war nicht einmal der Grand Prix Eurovision de la Chanson (schon dieser Name, unter dem in Deutschland der ESC bekannt war, französisch ausgesprochen, war ein feierliches Versprechen, wenn man so will), sondern eine Spielshow namens "Spiel ohne Grenzen", die in den 60er- bis 70er-Jahren besonders beliebt war. Auch "Wetten dass ...?" begann mit dieser Hymne, ebenso die frühere Show "Einer wird gewinnen" mit Hans-Joachim Kulenkampff in der ARD.

Geblieben ist der ESC

Waren das etwa nicht die besonderen Momente des Fernsehens - wenn es die nationale Arena verließ und zum Blick über den eigenen Horizont einlud? Viele gemeinsam europäische Shows gibt es nicht mehr, eigentlich nur noch den ESC. Der hat traditionell das Charpentiersche "Te Deum" vorgeschaltet. Leider jedoch nur noch in einem kurzen Ausschnitt. Früher, meiner Erinnerung nach bis Ende der 90er-Jahre, kam die Hymne erst vom nationalen Sender, dann die internationale Variante - man hörte immer leichte Unterschiede in den zwei Strophen.

Logo Eurovision Song Contest 2014
Viele gemeinsame europäische Shows gibt es nicht mehr - eigentlich nur den ESC.

Ich finde, wenn aus programmlichen Zeitgründen die Hymne schlechthin nur noch als Zitat gespielt wird, sollte wenigstens beim Einzug der Finalkünstler (wie es ihn in Malmö und Kopenhagen vor der Liederpräsentation gab) dieses feierliche Motiv als übergeordnete Tonspur der Show eingewoben werden. Die europäische Hymne ist offiziell das bekannte "Ode an die Freude" von Beethoven. Aber ich glaube, niemand hält diese Tonspur wirklich für die fanfarenhafte Hymne eines friedlichen Europa. Es war und ist und bleibt - Marc-Antoine Charpentiers "Te Deum". Man sollte dem unbekannten Stöberer im Fundus klerikaler Kompositionen des späten 17. Jahrhunderts danken. Er hat wahrscheinlich versehentlich eine Nationalhymne (ohne Text, was vorteilhaft ist bei der babylonischen Sprachenvielfalt dieses Kontinents und seiner Verwandten im Nahen Osten und Vorderasien) dessen gefunden, was Europa sein will.

 

Dieses Thema im Programm:

Das Erste | Eurovision Song Contest | 23.05.2015 | 21:00 Uhr