"Lipstick", 2011 in Düsseldorf (Finale) (8. Platz, 119 Punkte)
Jedward: Flippige Zwillinge von der grünen Insel
Im Jahr 2011 schickten die Iren ein schrilles Duo ins Rennen um die ESC-Krone: In knallroter Glitzer-Jacke und mit spitz geformter Haartolle stürmten die Jungs von Jedward über die Bühne von Düsseldorf. Die eigenwillige Performance passte perfekt zu ihrem damaligen Dance-Titel "Lipstick". Es sprang - im wahrsten Sinne des Wortes - ein achter Platz heraus und ein Jahr danach versuchten die "Jungs von der Hüpfburg" erneut ihr Glück. Diesmal hieß ihr Beitrag "Waterline", aber sonst hatte sich nicht viel verändert. Aber wir greifen voraus...
Erfolgsgeschichte mit Knacks
Die Inselrepublik war lange Zeit der erfolgreichste Teilnehmer der gesamten Geschichte des Eurovision Song Contest. Insgesamt sieben Mal holten irische Interpreten den Sieg nach Hause: zum ersten Mal 1970, als die damals 18-jährige Sängerin Dana "All Kinds Of Everything" sang. Zehn Jahre später gewann Johnny Logan mit der Ballade "What's Another Year", mit dem Titel "Hold Me Now" schaffte er es 1987 noch einmal. Drei erste Plätze in Folge holte Irland sogar 1992, 1993 und 1994. Zuletzt siegte der junge Eimear Quinn 1996 mit der Ballade "The Voice".
In den letzten Jahren bekam die immerwährende Erfolgsgeschichte Irlands allerdings einen gehörigen Knacks. So konnte die Band Dervish 2007 mit ihrem traditionellen Song "They Can't Stop The Spring" nicht überzeugen und wurde in Helsinki Schlusslicht. Im Folgejahr trat zweifelsohne der schrägste irische Kandidat an: Dustin the Turkey - eine Truthahnpuppe im Einkaufswagen - sang sich durch die Geschichte der irischen ESC-Erfolgssongs, flog aber schon im ersten Halbfinale raus. Auch 2009 schaffte es Irland nicht ins Finale. In Oslo landete Niamh Kavanagh, die 1993 sogar für ihr Land gewonnen hatte, immerhin wieder auf Platz 23. Ein schwacher Trost.
Berühmt durch Castingshow
Nun sollten es also Jedward richten. Die eineiigen Zwillinge John und Edward Grimes sind in ihrer Heimat ebenso beliebt wie umstritten. Nach ihrem vor Selbstbewusstsein strotzenden ersten Auftritt in der 2009er-Staffel der Castingshow "X-Factor" reagierte Jury-Mitglied Simon Cowell entsetzt: "Not very good and incredibly annoying" ("Nicht sehr gut und unglaublich nervend."), lautete sein Urteil. Eine große Karriere schien den Jungs also nicht ins Haus zu stehen. Doch schafften sie es unter die letzten sechs in der Show, bevor sie ausschieden. Ihr Publikum hatten die beiden aber gefunden - und begannen, auf einer Welle des Erfolges zu schwimmen.
Zurück ins Fernsehen
Anfang 2010 nahmen Jedward die Debütsingle "Under Pressure (Ice Ice Baby)" auf - in Zusammenarbeit mit Rapper Vanilla Ice. Das Remake des Queen-Hits landete auf Platz eins der irischen Single-Charts und stieg fast ebenso erfolgreich in den UK-Charts ein. Das erste Album "Planet Jedward" mit Coversongs, unter anderem von Robbie Williams, den Beastie Boys und den Backstreet Boys, kam im Juli des Jahres heraus und fand in Irland reißenden Absatz. Die Grimes-Brüder gingen auf Solo-Tour und wurden immer bekannter. Und es schloss sich der Kreis: Jedward kehrten ins irische Fernsehen zurück mit einer eigenen Show "OMG! It's Jedward!". Im britischen TV lief die dreiteilige Serie "Jedward Let Loose", die ihren Weg zum Erfolg nachzeichnet.
Heimliche Sieger Düsseldorfs
Nachdem sie 2011 mit ihrem mitreißenden Partykracher "Lipstick" die heimlichen Sieger Düsseldorfs waren - ihr Beitrag landete auf Rang acht - ging es mit der Karriere der Zwillinge weiter steil bergauf. In Europa landeten sie Charterfolge, tourten durch die Lande, zuletzt im Januar 2012 durch Deutschland, und nahmen weiter fleißig Singles auf. Die jüngste erschien im Winter 2012. Bei einer Veranstaltung in Dublin trafen die Brüder auf US-Präsident Barack Obama. Manch ein Zuschauer wird die dauergutgelaunten, elektrisierten Brüder nicht mehr sehen können. Doch Irland war offenbar so glücklich über sein neues Erfolgsrezept, dass Jedward den irischen Vorentscheid Eurosong 2012 dank eindeutigen Votums von Jury und Publikum erneut gewannen.
"Waterline" - Ähnliches Erfolgsrezept wie "Lipstick"?
Der Song für Baku unterschied sich nicht maßgeblich vom Vorjahreshit "Lipstick" und wurde sogar vom selben Komponistenteam wie der Düsseldorf-Song geschrieben. "Waterline" stammt aus der Feder von Lars Jensen und Martin Larsson, mit denen Jedward schon länger zusammenarbeiten. Außerdem hat Dan Priddy daran mitgeschrieben. Er ist Songwriter der britischen Boyband JLS, die ebenfalls durch die Talentshow X-Factor bekannt wurde. Erneut stechen Edward und John nicht durch ausgereifte Stimmbildung hervor. Sie setzen wie stets auf eine dynamische Performance und fantasy-artigen Kostümen sowie eine Bühnenshow mit viel Springen und Radschlagen vor bunt-flimmerndem LED-Hintergrund - neu für Baku war allerdings ein echter Springbrunnen als Staffage.
Parallel zum ESC-Trubel hatte der irische Moderator und Songwiter Colm Hayes Jedwards Eurovisionshit "Lipstick" zu einer neuen Hymne für die irische National-Fußballmannschaft umgetextet, da Irland an der Fußball-Europameisterschaft 2012 teilnimmt. Die Erlöse der neuen Single wollen die drei Künstler einer irischen Kinderschutzorganisation zukommen lassen. Der Titel: "Put Your Green Cape On".
Diese Ehre dürfte "Waterline" nicht so schnell zuteil werden: Mit Entsetzen verfolgten alle Jedward-Fans im Finale 2012 die Vergabe der Länderpunkte, bei der ihr Lieblingssong auf Platz 19 äußerst bescheiden abschnitt. Und wie in ihrer vorher gezeigten Choreographie standen die Grimes-Zwillinge in Baku wie begossene Pudel da, denen so gar nicht mehr zum Hüpfen zumute war.