Frankreich: Amaury Vassili
Frankreich traute sich 2011 was: Das Mutterland des Chanson schickte einen echten Opernsänger zum Eurovision Song Contest. Dabei dürfte auch Amaury Vassili wissen: Der Grand Prix und die Oper - das ist keine Liebesbeziehung. Zwar wagten sich in der Vergangenheit immer wieder einzelne Vertreter des ernsten Fachs auf die ESC-Bühne, jedoch: Die Ausbeute war mager.
Jüngste Beispiele: Schwedens stimmgewaltige Mezzosopranistin Malena Ernman, die sich 2009 mit Platz 21 begnügen musste und ihr Mitstreiter, der bulgarischeCountertenor Krassimir Avramov, der schon im Halbfinale rausflog. Im Jahr darauf versuchten es zwei ausgebildete Tenöre mit Balladen: der Norweger Didrik Solli-Tangen mit einer ernsten und der Russe Peter Nalitch mit einer ironischen Variante. Sie belegten die Plätze elf und 20 - Erfolg sieht anders aus. Viel besser erging es beim ESC 2011 Amaury Vassili auch nicht. Der bei den Buchmachern als Top-Favorit gehandelte Sänger schaffte es in Düsseldorf nur auf Platz 15.
Weltweit der jüngste Berufstenor
Es ist eben eine Herausforderung für Menschen, die sonst drei Stunden lang ohne Mikro singen, dies nun drei Minuten lang mit Mikro zu tun. So jedenfalls formulierte es Malena Ernman einst im Interview mit eurovision.de. Die Franzosen ficht das alles nicht an - schließlich schicken sie mit dem 21-jährigen Amaury Vassili nicht einfach eine ausgebildete Stimme nach Düsseldorf, sondern den angeblich weltweit jüngsten Berufstenor, der auch beim breiten Publikum beliebt ist. Und: Vassili kann bereits ESC-Erfahrung vorweisen. 2001 stand er beim Auftritt der Sängerin Natasha Saint-Pier mit auf der Bühne. Die belegte immerhin den vierten Platz. Der letzte Sieg Frankreichs liegt schon länger zurück: 1977 gewann Marie Myriam den Contest in London mit dem Titel "L'oiseau et l'enfant".
Lampenfieber kennt er nicht
Vassili selbst schaffte den großen Durchbruch 2009. Da ging sein Debütalbum "Vincero" quasi durch die Decke. In Frankreich erhielt es Doppelplatin und war - wie das Folgealbum "Canterò" aus dem Jahr 2010 - auch international höchst erfolgreich. Kein Wunder: Vassilis musikalische Bandbreite reicht von Klassik über populäre Filmmusik-Themen bis zu Coverversionen aus dem Rock- und Pop-Repertoire, unter anderem von Queen und Leonard Cohen. Vassili selbst sagt, er sei ebenso Fan von Michael Jackson wie von Reggae-Musik und Jacques Brel. Aber, und das betont er: "Ich liebe die Oper mit großem Orchester - denn wenn du da rausgehst, weißt du: Du wirst alles geben und am Ende völlig erschöpft sein." Lampenfieber? Kennt der smarte Junge nicht: "Je mehr Leute da sind, desto wohler fühle ich mich - und desto leidenschaftlicher singe ich auch." Chapeau!
Der Beau aus der Normandie begann seine Gesangsausbildung mit neun Jahren, trat in kleineren Musicals auf und nahm im Laufe der Zeit so manchen Musikwettbewerb in seinem Heimatland mit. Allerdings legt Vassili Wert darauf, nie an einer TV-Castingshow teilgenommen zu haben: "Ich habe einen sehr besonderen Musikstil und glaube einfach nicht, dass ich in dieses Format passe." Nun, der Verkauf von 250.000 Platten gibt ihm wohl recht.
Ein "Traum" auf Korsisch
Eine Tradition brechen und sie gleichzeitig beibehalten - das geht, Frankreich machte es 2011 vor: Das Land, aus dem oft und gerne Beiträge in der Landessprache kommen, schickte diesmal einen Song - nein, nicht in Französisch, aber in einer französischen Regionalsprache: Vassili sang seinen Song "Sognu" (deutsch: "Traum") auf Korsisch. Die Musik haben Daniel Moyne und Quentin Bachelet geschrieben, der Text stammt aus der Feder des korsischen Sängers und Songwriters Jean-Pierre Marcellesi.
Mais, pourquoi? Nur, weil das Korsische dem Italienischen ähnlich ist, der Opernsprache schlechthin, und sich daher für ein Opernlied gut eignet? Das französische Fernsehen nannte einen anderen Grund: Eine Regionalsprache würde eben die bunte Vielfalt der französischen Musiklandschaft abbilden. Fest steht: Der Song ist ein dramatischer Bolero mit einer ordentlichen Portion Bombast-Sound, vorgetragen mit korsisch-normannischer Leidenschaft. Geholfen hat es aber trotzdem nicht.