"Diese Welt", 1971 in Dublin (Finale) (3. Platz, 100 Punkte)
"Wunder gibt es immer wieder", 1970 in Amsterdam (Finale) (3. Platz, 12 Punkte)
Deutschland: Katja Ebstein
Die Medien feiern Katja Ebstein zuweilen als die deutsche Grande Dame des Eurovision Song Contest - dabei greift dieser Begriff eigentlich zu kurz. Zwar ist die Sängerin mit einem zweiten und zwei dritten Plätzen eine der erfolgreichsten deutschen Grand Prix-Teilnehmerinnen überhaupt, doch Katja Ebstein ist mehr als die schöne Schlagerfrau mit den rötlichen Haaren. Neben ihrer Karriere als Sängerin machte sie Theater und Kabarett, trat in Fernsehserien auf und engagierte sich immer auch politisch und sozial. Starallüren blieben ihr stets fremd - vielleicht ein Erbe ihrer Kindheit als Flüchtlingskind: Am 9. März 1945, wenige Wochen vor Kriegsende, wurde Katja Ebstein alias Katharina Witkiewicz in der Nähe von Breslau in Schlesien geboren. Ihre Eltern flohen mit dem Baby nach West-Berlin, wo Katharina aufwuchs.
Protestsongs für die Studentenbewegung
Nach dem Abitur studiert die junge Frau in Berlin zunächst Archäologie und Kunst. Sie taucht in die Liedermacherszene der Stadt ein und engagiert sich in der Studentenbewegung. Dabei lernt sie auch deren Protagonisten kennen, die 68er-Ikone Rudi Dutschke ebenso wie den späteren RAF-Terroristen Jan Karl Raspe. Katharina tritt in Studenten- und Künstlerkneipen auf, singt Protestsongs. Die Musik ist zugleich Spaß und Teil ihres politischen Engagements. 1969 erhält sie einen ersten Plattenvertrag. Die 24-Jährige nennt sich jetzt Katja Ebstein. Der Name Witkiewicz sei zu schwer auszusprechen und deshalb für die Musikbranche ungeeignet, hatte man ihr gesagt. Bei der Wahl des Künstlernamens griff die Berlinerin kurzerhand auf ihre damalige Adresse zurück, die Epensteinstraße im Stadtteil Reinickendorf.
"Wunder gibt es immer wieder": Evergreen für Amsterdam
Schon ein Jahr später, im Februar 1970, tritt Katja Ebstein erstmals beim deutschen Vorentscheid an. Die junge Frau mit den langen rötlichen Haaren begeistert Publikum und Jury gleichermaßen. Ihr Titel "Wunder gibt es immer wieder" zählt bis heute zu den populärsten deutschen Schlagern überhaupt, ein echter Evergreen. Auch beim Eurovision Song Contest in Amsterdam kommt Katja Ebstein mit dem von ihrem ersten Ehemann Christian Bruhn komponierten Titel gut an, erreicht den dritten Platz. "Wunder gibt es immer wieder" markiert zugleich den Startschuss für Katjas internationale Karriere. Ihre Lieder erscheinen nun auf Englisch, Französisch, Italienisch, ja sogar auf Japanisch.
Ein Jahr später steht Katja Ebstein in Dublin erneut auf der Grand-Prix-Bühne, diesmal mit dem Titel "Diese Welt", der sich kritisch mit der Umweltverschmutzung auseinandersetzt: "Rauch aus tausend Schloten senkt sich über Stadt und Land. Wo noch gestern Kinder war'n, bedeckt heut Öl den Strand." Ökopop beim Song Contest, das war eine bis dahin unbekannte Verbindung. Zuschauern und Jury in Europa gefiel es: Katja Ebstein kommt erneut auf den dritten Platz, wird in den Folgejahren im In- und Ausland mit Auszeichnungen geradezu überhäuft. In Deutschland ist sie Dauergast im Fernsehen, tritt in Unterhaltungssendungen und Talkshows auf. Zugleich spielt sie zahlreiche neue Alben ein. 1975 nimmt sie mit dem Song "Ich liebe Dich" erneut am deutschen Vorentscheid teil: Diesmal kann sie sich aber nicht gegen Joy Flemings "Ein Lied kann eine Brücke sein" durchsetzen.
TV-Auftritte und Sitzblockaden
1980 tritt Katja Ebstein ein letztes Mal beim deutschen Vorentscheid zum Eurovision Song Contest an. Mit dem Ralph-Siegel-Titel "Theater" setzt sie sich gegen andere populäre Schlagersänger wie Marianne Rosenberg, Costa Cordalis und Roland Kaiser durch. Beim Wettbewerb in Den Haag kommt sie auf den zweiten Platz, muss sich nur Grand-Prix-Ikone Johnny Logan geschlagen geben. Der Titel "Theater", heute ebenfalls ein Evergreen, liefert zugleich das Stichwort für Katjas weitere Laufbahn in den 80er-Jahren. Sie beginnt eine Bühnenkarriere, spielt den Blauen Engel des "Professor Unrat", die Buhlschaft aus dem "Jedermann" und Brechts "Seeräuberjenny". Es folgen Rollen in verschiedenen Musicals und in Fernsehserien. Nebenher arbeitet die populäre Sängerin aktiv in der Friedens- und in der Anti-Atomkraftbewegung mit. Als sie an einer Sitzblockade vor einem US-amerikanischen Atomwaffenlager teilnimmt, kassiert sie gar eine Vorstrafe.
Politisches Engagement
In den 90er-Jahren wendet sich Katja Ebstein verstärkt der Literatur zu, präsentiert Texte von Heinrich Heine, Kurt Tucholsky oder Annette von Droste-Hülshoff. Zugleich rückt ihr politisches und soziales Engagement in den Vordergrund. Sie setzt sich für benachteiligte Kinder und für den Umweltschutz ein, unterstützt Entwicklungsprojekte in der Sahelzone und in Peru. Parallel bringt Katja neue Alben mit literarischen Texten und mit Chansons heraus.
2007 verzaubert die damals 62-Jährige wieder einmal ein Millionenpublikum - diesmal allerdings nicht mit ihrer Stimme, sondern mit Eleganz und Beweglichkeit: Katja Ebstein holt an der Seite ihres Tanzpartners Oliver Seefeldt den zweiten Platz bei der TV-Tanzshow "Let’s Dance". Eine wichtigere Auszeichnung folgt 2008: Für ihr Engagement für Kinder in Not erhält sie das Bundesverdienstkreuz. Im selben Jahr trifft sie mit dem Tod ihres Ehemanns Klaus Überall, mit dem sie seit 1979 verheiratet war, ein schwerer persönlicher Schicksalsschlag. Doch Katja Ebstein ist nicht der Mensch, der in Trauer versinkt. Und so steht sie auch 2010, im Jahr ihres 65. Geburtstages, wieder auf der Bühne. Titel ihres Programms: "Na und … - wir leben noch!"
2011 betritt Katja Ebstein mit einem alten Lied sogar noch mal ein ganz neues Terrain: Zusammen mit dem Rapper JokA nimmt sie ihren Song "Wunder gibt es immer wieder" in einer Cover-Version auf - und ist damit mehrere Wochen an der Spitze der deutschen Hip-Hop-Downloadcharts vertreten.
Allmählicher Rückzug
Mittlerweile ist es um die Sängerin deutlich ruhiger geworden, sie tritt nur noch selten auf. Ein bisschen Ruhe hat sich Katja Ebstein nach all den Jahren auf der Bühne auch wirklich verdient. Schließlich kann sie zu ihrem 70. Geburtstag am 9. März 2015 nicht nur stolz auf mehr als 30 Alben und mehrere Auszeichnungen zurückblicken, sondern auch auf ein Stückchen ESC-Geschichte, das sie selbst geschrieben hat.