Die Kesslers: Charme und Talent im Doppelpack
Elvis lag ihnen zu Füßen und noch heute gelten die Kessler-Zwillinge in Italien und Deutschland als TV-Ikonen. Ein Porträt der deutschen Grand-Prix-Teilnehmerinnen von 1959.
"Ich habe immer gesagt, die Ellen war mit einem Mann 20 Jahre zusammen und ich in einem Jahr mit 20", erzählt Alice Kessler 2008 scherzhaft in der Late-Night-Show "Inas Nacht". Die eineiigen Zwillinge verkehrten mit den größten Entertainment-Stars der 50er/60er Jahre: Fred Astaire, Sinatra, Elvis, Burt Lancaster, Rock Hudson. Doch berühmt wurden sie nicht durch Männergeschichten, sondern als Tänzerinnen und Sängerinnen im Doppelpack. Ihre Karriere begann in den 50ern im Pariser Lido. Sie gehörten zur weltberühmten Bluebell-Girls-Truppe, die mit ausschließlich großen und besonders schönen Tänzerinnen in Highheels und sexy Kostümen für Furore sorgte.
Aus dem sächsischen Nerchau ins Pariser Lido
Ein rasanter Aufstieg, denn geboren werden die Zwillinge am 20. August 1936 in eine ganz normale Familie in der sächsischen Kleinstadt Nerchau - Vater Maschinenbauingenieur, Mutter Hausfrau. Vater Paul Kaessler, so der eigentliche Familienname, ist besonders stolz auf seine nahezu identisch aussehenden Mädchen. Der strenge, dem Alkohol zugeneigte Patriarch versäumt keine Gelegenheit, mit ihren Talenten anzugeben. Ständig müssen sie akrobatische Übungen vorführen und Lieder auf ihren Akkordeons zum Besten geben. Der väterliche Ehrgeiz zahlt sich in künstlerischer Hinsicht bald aus. Mit elf gehören Alice und Ellen zum Kinderballett der Leipziger Oper. Nach der Flucht der Familie aus der DDR bekommen sie 1952 im Düsseldorfer Revuetheater Palladium ihr erstes Engagement als Tänzerinnen - doch die rheinische Kulturstätte kann die beiden nicht lange halten. Der Direktor des berühmten Pariser Lido wird auf die langbeinigen "Klone" aufmerksam und holt sie 1954 an die Seine. Hier lernen die Kesslers Stammgast Elvis kennen, der von ihren Hintern begeistert ist, wie sie in der Talkshow Markus Lanz erzählen. Bei Rock Hudson blitzt Alice ab, bei Burt Lancaster nicht. Schnell sind die Blondinen selbst so berühmt wie ihre prominenten Bekannten.
Film- und Gesangskarriere auch in Deutschland
Dass zwei Deutsche in Paris den Männern den Kopf verdrehen, bleibt natürlich auch in ihrem Heimatland nicht unbemerkt. 1955 debütieren die Zwillinge in dem deutschen Spielfilm "Solang' es hübsche Mädchen gibt". Bis Mitte der 60er spielen sie in Streifen dieses Kalibers mit, auch in französischen und italienischen Produktionen. Tanzen, Schauspielern, fehlt nur noch Singen. Damit starten Alice und Ellen 1958 und nehmen ihre erste Single auf. Trotz mäßigen Erfolgs als Sängerinnen nominiert die ARD die Zwillinge als deutsche Teilnehmerinnen für den Grand Prix Eurovision in Cannes. Eigentlich sollten die Kesslers mit dem Titel "Heut' möcht' ich bummeln" antreten, doch das war ihnen zu bieder. Sie bestanden auf einer Änderung einiger Liedzeilen. Mit der finalen Version "Heute Abend woll'n wir tanzen geh'n" landeten sie in Cannes auf Platz acht unter elf Teilnehmern. Das mäßige Ergebnis kann ihrer Karriere nichts anhaben. Es folgen Plattenerfolge als Trio mit Peter Kraus und auch international läuft es weiterhin blendend für die Schwestern. Bis 1960 sind sie parallel zu den anderen künstlerischen Aktivitäten im Lido engagiert, dann werden sie von einem italienischen TV-Boss abgeworben und schreiben Fernsehgeschichte in dem erzkatholischen Land: Sie sind die ersten Showgirls im italienischen Fernsehen und dürfen als erste weibliche Protagonisten Bein zeigen, allerdings nur in blickdichten Strumpfhosen.
Tanzen auf den großen Showbühnen der Welt
Auf der Höhe des Erfolgs tanzen die Kesslers auf Bühnen in New York, Las Vegas, London, Hongkong, Caracas, Buenos Aires und Sydney. Auch nach Paris kehren sie immer wieder zurück. In den 60ern war der deutsche Exportschlager 14 Mal zu Gast in der legendären Ed-Sullivan-Show. Hier trafen die jungen Frauen aus Sachsen weitere große Stars, etwa Frank Sinatra, Dean Martin, Bing Crosby, Harry Belafonte und Sammy Davis jr. Sinatra soll nach seiner ersten Begegnung mit dem Zwillingspaar ausgerufen haben: "Shame - I just got married!"
Dauergast im deutschen und italienischen Fernsehen
In Italien und Deutschland gehören die Kesslers über Jahrzehnte zu den großen Stars der TV-Unterhaltung. Von 1962 bis 1986 haben sie ihren Hauptwohnsitz in Rom. Mitte der 70er werden die Zeiten auch dort lockerer. 1976 ziehen sich die Zwillinge im Alter von 40 Jahren für den italienischen Playboy aus. Das Heft ist innerhalb von drei Stunden ausverkauft.
Im deutschen Fernsehen der 70er/80er Jahren kommt kaum eine Unterhaltungshow ohne die Kesslers aus. Sie fegen in den Sendungen von Peter Alexander, Peter Frankenfeld oder Hans-Joachim Kulenkampff übers Parkett, zeigen an der Seite von Ingrid Steeger in der Nonsens-Show "Klimbim" ihr komödiantisches Talent, raten gleich dreimal bei Hänschen Rosenthals "Dalli Dalli" als Zweierteam mit und wetteifern in Blacky Fuchsbergers Spielshow "Auf Los geht's los".
Hüften schwingen mit 79
Bis heute sind die Kesslers begehrte Fernsehgäste im deutschen TV. 2007 kommen sie noch einmal auf die ESC-Bühne zurück und verkünden beim deutschen Vorentscheid den Gewinner Roger Cicero mit "Frauen regier'n die Welt". 2011 haben die Blondinen einen skurrilen Gastauftritt im Tatort mit Ulrich Tukur. Darüber hinaus bleiben sie der Theaterbühne treu - auch im hohen Alter: 2015 in Berlin und München und 2016 in Wien sind Alice und Ellen ausnahmsweise mal nicht im Doppelpack zu sehen. In dem Udo-Jürgens-Musical "Ich war noch niemals in New York" spielen sie abwechselnd die Rolle der Maria Wartberg - praktisch ein Zwilling zu sein.
Ohne einander geht es nicht
Auch wenn es nicht immer harmonisch zwischen den Schwestern zugeht - ohne einander geht es nicht. Sechs Wochen am Stück war die längste Zeit der Trennung in ihrem bisherigen Leben. Alice war auf Weltreise, hält aber alles in einem Tagebuch für die Schwester fest. Verheiratet waren Alice und ihre 45 Minuten jüngere Schwester nie. Heute leben sie in München-Grünwald in einem Doppelhaus. Jeder hat sein eigenes Reich - doch zwischen den Wohneinheiten gibt eine große Schiebetür.