"ESC findet nicht im luftleeren Raum statt"
Die russischen Anti-Homosexuellen-Gesetze und die Petition aus Weißrussland gegen die österreichische ESC-Teilnehmerin Conchita Wurst haben die politische Diskussion um den Eurovision Song Contest wieder aufgeheizt. Wie sicher wären die Teilnehmer, Fans und Journalisten des weltweit größten Musikwettbewerbs, würde eines dieser Länder in Kopenhagen gewinnen und im Folgejahr dann den ESC austragen?
Thomas Schreiber, ARD Unterhaltungskoordinator und ESC-Verantwortlicher beim NDR, spricht im Interview über die Vorgehensweise innerhalb der ARD, sollte eines dieser Länder einen ESC gewinnen.
Herr Schreiber, die Aufmerksamkeit der EBU für die politischen Umstände eines ESC ist erheblich gewachsen. Kommt die Forderung der politischen Öffentlichkeit, wie etwa vor anderthalb Jahren in Sachen Aserbaidschan, die politischen Kosten eines ESC in einem Land mitzurechnen, nicht einer Überfrachtung des ESC gleich?
Thomas Schreiber: Das sind zwei Seiten einer Medaille: Natürlich findet der ESC nicht im luftleeren Raum statt, sondern in einem konkreten politischen und gesellschaftlichen Umfeld, und dazu verhalten sich Künstler, Sender, Journalisten und Fans. Zum Anderen ist der ESC zwar die größte weltweite Live-Musik-Show, die in rund 50 Ländern gesendet wird, aber es ist "nur" eine Unterhaltungssendung, die nicht die Probleme oder Fragen lösen kann, die die Politik auch nicht löst.
Sie haben in einem Interview vor dem ESC in Baku erklärt, die ARD werde an einem ESC im weißrussischen Minsk nicht teilnehmen. Wie sähe die Praxis aus, falls Weißrussland oder etwa auch Russland den ESC gewinnen? Würde dann quasi automatisch das nächstplatzierte der unproblematischen Länder in die Finalplanungen mit einbezogen werden?
Schreiber: We - also die Reference Group - cross the river when we get there.
Kommt Ihr Statement, in Sachen Weißrussland nicht dabei sein zu wollen, einer größeren Einflussmöglichkeit gleich? Denn wäre der ESC ohne Deutschland als Big-Five-Land nicht schon finanziell insgesamt gefährdet?
Schreiber: Meine Formulierung in einem Interview lautete: "Sollte Weißrussland gewinnen, würde ich innerhalb der ARD die Frage stellen, ob Deutschland sich am Eurovision Song Contest in der Diktatur Weißrussland beteiligen sollte." Und bei Ihnen habe ich gesagt: "Wenn Weißrussland gewinnen würde, möchte ich dann dabei sein? In einer lupenreinen Diktatur? Nein." Das bedeutet übersetzt: Wie die ARD mit der Frage umgeht, ob man bei einer Austragung des ESC bei einem möglichen Sieg Weißrusslands dabei ist oder nicht, muss im konkreten Fall innerhalb der ARD besprochen werden. Dazu gehört natürlich auch die Abstimmung, dass bei einem Verzicht der ARD nicht das ZDF auf einmal einspringt ...
Wie genau sehen die Sicherheitsgarantien für den ESC und die Fans, die diese Länder der EBU geben müssen, aus? Gäbe es Strafen oder Sanktionen, wenn diese im Nachhinein nachweislich nicht gehalten wurden?
Schreiber: Sanktionen sind im Regelwerk nicht enthalten. Sie müssen ja auch unterscheiden, wofür der Sender (also das EBU-Mitglied) zuständig ist und wofür staatliche Stellen.
Wäre Ihr Leben als ARD-Kopf des ESC weniger stressig, würde der ESC ausschließlich unter den klassischen ESC-Ländern ausgetragen – ohne die einst sowjetischen und heutzutage im Hinblick auf Sicherheit und individuellen Freisinn fragwürdigen Länder?
Schreiber: Die ESC-Kollegen und ich freuen uns, dass seit dem Fall der Mauer fast alle Sender Europas beim Eurovision Song Contest dabei sind.
Nicht nur hierzulande sind Fans ziemlich neugierig, was die deutsche Vorentscheidungsshow anbetrifft. Wann dürfen diese mit Informationen über den 13. März in Köln rechnen? Noch in diesem Jahr?
Schreiber: Ja.
Das Interview führte Jan Feddersen.