"Plagiatsvorwürfe gehören zur Folklore des ESC"
Thomas Schreiber, ARD-Kopf des Eurovision Song Contest und Chef der ARD-Unterhaltung, nimmt im Interview mit Journalist und Blogger Jan Feddersen Stellung zur Skandalisierung der Jury, des Gewinnerssongs "Glorious" und Manipulationsunterstellungen.
Herr Schreiber, im Netz und manchen Zeitungen rumort es: Wie ist die Jury von Hannover ausgesucht worden - Mary Roos, Peter Urban, Anna Loos, Tim Bendzko und Roman Lob? Warum waren es diese fünf - und nicht andere? Ist darauf geachtet worden, dass etwa die Jurymitglieder nicht bei gleichen Firmen unter Vertrag stehen wie die Künstler selbst?
Thomas Schreiber: Zuerst einmal haben wir deshalb eine Jury gehabt, weil wir uns am ESC orientieren wollten. Beim internationalen Finale entscheiden in jedem Land zur Hälfte die Zuschauer und zur anderen Hälfte eine Jury aus, wie es in den Regeln der European Broadcasting Union heißt, "Music Industry Professionals"!. Daran hat in der Vergangenheit auch niemand Anstoß genommen.
Die Jury haben wir mit dem Ziel zusammengestellt, ein möglichst breites Spektrum abzubilden - nach Kriterien wie Männer, Frauen, Alter, Ost und West, ESC-Erfahrung, Musikstile. Und ich bin froh, dass neben Peter Urban vier Musiker in der Jury saßen, die wissen, was es bedeutet, auf einer großen Bühne aufzutreten.
Und warum nun ausgerechnet diese fünf Personen?
Schreiber: Das hat sehr viel mit der Frage zu tun, ob ein Musiker mit dem ESC in Verbindung gebracht werden möchte, ob er den Mut hat, wirklich als Jurymitglied seine Stimme abzugeben und nicht zuletzt auch schlicht und einfach mit der Frage, ob jemand an diesem Tag Zeit hat. Ausschlaggebend war aber, dass die Jurymitglieder Lust auf den "Eurovision Song Contest 2013 - Unser Song für Malmö" hatten. Natürlich achten wir auf den Aspekt der Labelzugehörigkeit. Sie spielen mit Ihrer Frage vermutlich auf die im Internet geäußerte Unterstellung an, dass die drei Universal-Künstler Anna Loos, Mary Roos und Roman Lob die Universal-Künstlerin Cascada gefördert und LaBrassBanda behindert hätten.
So wird gemunkelt …
Schreiber: … und das ist dummes Zeug, denn schließlich hat die Jury die Punkte 10 und 12 an Warner-Künstler vergeben, und Tim Bendzko, der exklusiv von Sony vertrieben wird, hat sich bei seiner Entscheidung ebenfalls von den Regeln leiten lassen und nicht von der Tatsache, das LaBrassBanda seit einiger Zeit bei Sony unter Vertrag sind.
Warum sollte die Jury überhaupt das Gewicht von einem Drittel des Stimmengewichts insgesamt erhalten?
Schreiber: Hätten wir das Online-Voting bei den Radiosendern nicht als Experiment gehabt, hätte die Jury wie beim ESC sogar 50 Prozent der Stimmen gehabt. Dem Eurovision Song Contest hat diese Regel seit der Einführung im Jahre 2009 auf jeden Fall gut getan. Wir müssen überlegen, ob wir diese 33:33:33-Prozent-Aufteilung beim deutschen Vorentscheid zwischen Online, Jury und Televoting beibehalten, denn eines ist sicher: Online wird aus Sympathie abgestimmt, Zuschauer und Jury bewerten jedoch den Auftritt.
Was das Online-Voting der Radiostationen anbetrifft: War es nicht riskant, Votings aus dem Ausland nicht filtern zu lassen? Ist es nicht ohnehin zwiespältig, dass im Radio nur die Aufnahme selbst, nicht jedoch die Performance von Hannover bewertet wird? Wie ist der Gefahr der Mehrfachabstimmungen und anderen Manipulationen begegnet worden?
Schreiber: Das Online-Votingverfahren war sehr aufwendig: Maximal konnte eine Email-Adresse bei jedem Radiosender eine Stimme abgeben. Ohne zuviel Details zu verraten: Wir haben sehr darauf geachtet, dass es keine Dirty Tricks gibt. Die Online-Kollegen können Ihnen viele lustige Geschichten dazu erzählen.
Dass wir kein Geoblocking hatten, also aus dem Ausland abgestimmt werden konnte, haben wir den Deutschen im Ausland zuliebe gemacht. Der Sieg von LaBrassBanda beim Radiovoting ist definitiv nicht dem überhaupt sehr geringen ausländischen Stimmenanteil zu verdanken. Und auch der sehr eindeutige zweite Platz von Cascada ist nicht ausländischen, sondern sehr vielen Stimmen aus Deutschland zu verdanken.
Zur Frage, welche Sender wie oft und zu welcher Uhrzeit Titel gespielt haben beziehungsweise ob sie überhaupt Titel gespielt haben, kann ich erst etwas sagen, wenn ich das Airplay in der Abstimmungswoche, also vom 7. bis 14. Februar analysiert habe.
Hören Sie bei Cascada "Euphoria" oder "Glorious"? Woher rührt der Plagiatsvorwurf - weil es jedes Jahr Kopistenphantasien gibt oder weil an den Gerüchten etwas dran ist?
Schreiber: Die Produzenten haben mir gegenüber sehr eindeutig und nachvollziehbar Stellung zu den Vorwürfen und Unterstellungen bezogen. Gleichwohl habe ich bereits am Freitag, als im Internet verschiedene Plagiatsvorwürfe geäußert wurden, mit namhaften Experten gesprochen, eine erste Expertise am Samstag erhalten und ein musikwissenschaftliches Gutachten in Auftrag gegeben. Für die Produzenten ist es unglücklich, wenn Sie sich selber verteidigen müssen. Da ist es besser, wenn jemand von außen seine Expertise abgibt. Im Übrigen gehören Versuche, den ESC zu skandalisieren und Plagiatsvorwürfe nach den Sendungen zur Folkore des ESC: Im vergangenen Jahr wurde Loreen und ihren Produzenten vorgeworfen, dass "Euphoria" bei drei verschiedenen Titeln "geklaut" sei, unter anderem bei Rihanna und David Guetta.