Xavier Naidoo: Ein Mann mit Mut
Das ist die beste Nachricht, im Hinblick auf die deutsche Präsenz beim ESC, die es geben kann: Xavier Naidoo wird Deutschland am 14. Mai 2016 in Stockholm beim ESC vertreten. Unabhängig davon, ob man der Musik dieses begnadeten Künstlers anhängt oder nicht: Tatsächlich gab es in der deutschen ESC-Geschichte noch keinen Künstler von diesem Rang, der sich dem Wagnis namens ESC auszusetzen bereit war. Er werde es mit Hingabe und Professionalität tun, sagt er.
Wer bislang mit der Prominenz dieses Sängers und Musikers nicht so vertraut ist: Er hat eine kaum zählbare Fülle von Hits in die Charts gebracht, sechs Echos gewonnen und andere Auszeichnungen erhalten, wie den Comet, die Goldene Kamera und den Deutschen Fernsehpreis. Der heute 44-jährige Mannheimer hat 2006 zur Fußball-WM (für das sogenannte Sommermärchen) den eindringlichsten Song beigesteuert: "Dieser Weg".
Vielfalt nach deutscher Lebensweise
Mannheim, seit Joy Flemings Zeiten 1975 eine Stadt eurovisionären Kults, ist seine Heimat, hier hat er auch an der Popakademie als Dozent gewirkt. Und: Xavier Naidoo ist kein unumstrittener Künstler, das heißt, er ist für das Publikum schon grundsätzlich kein Langweiler. Im Gegenteil: Seine bekennende Religiosität, seine Neigung, Politisches zu äußern, aber dies nie in Parteipolitisches zu wenden, sind Eigenschaften, die ihn besonders interessant machen. Man kann sich mit ihm leidenschaftlich auseinandersetzen. Das ist für die öffentliche Aufmerksamkeit, die der ESC verdient, von unbedingtem Nutzen.
Naidoo, dessen Vater aus Südafrika stammt, ist auch optisch ein perfekter deutscher ESC-Sänger: Er ist deutsch - und er sieht wie das moderne Deutschland des Jahres 2015 aus: multikulturell. Er repräsentiert Vielfalt und ist von früherer deutscher Schlager-Piefigkeit so weit entfernt wie der Mars von irgendeiner Galaxie sonstwo.
Aber bei ihm muss man vor allem über Musik reden. Er, der etwa beim Sender "Vox" für die Sendung "Sing meinen Song - Das Tauschkonzert" den angehimmelten Gastgeber spielte, fabriziert Tonspuren, die weder krachend-rockig noch schlagerhaft zur Kumpeligkeit einladen. Ein Virtuose mit den Soundtracks unserer Zeit.
Das Lied, mit dem er im Mai kommenden Jahres nach Schweden reisen wird, steht noch nicht fest. Er wird sechs Lieder am Ende eines Auswahlverfahrens am 18. Februar interpretieren und sich damit zur Auswahl für das Publikum stellen. Naidoos Lieder entstammen nicht aus einem bereits fertigen Album. Vielmehr, das ist ein zusätzlicher Reiz, können Komponisten und Texter Beiträge einschicken bis Mitte Dezember.
Es wird kunstvolle Bühneninszenierungen geben
Naidoo und eine Jury wählen aus diesen Vorschlägen sechs Lieder - die wiederum für die "Unser Song für Xavier"-Show am 18. Februar von Studierenden aus Kunsthochschulen inszeniert werden - Performances, die so zeitgemäß sind wie etwa jene von Loreen, Lena, Måns Zelmerlöw oder Loïc Nottet. Auch das scheint mir eine geniale Idee: Der Nachwuchs, der sich mit darstellenden Künsten in jeder Hinsicht auskennt, soll zeigen, was smart und cool ist.
Nur zweimal zuvor gab es Vorentscheidungen bei uns, für die die Künstlerinnen gesetzt waren, das Lied aber noch ausgewählt werden konnte: 1971 Katja Ebstein und 2011 Lena. Wir wissen, dass beide Lieder aus diesen Verfahren gut bis sehr gut abschnitten. "Diese Welt" belegte 1971 den dritten Platz in Dublin, "Taken By A Stranger" in Düsseldorf den zehnten Rang.
Xavier Naidoo wird wissen - oder von Kollegen erfahren - welch kraftraubende Zeit ihm bis Stockholm bevorsteht. Und wie viel Inspiration sie einem Künstler zugleich gibt. Er ist - nach meinem Geschmack - die perfekte Wahl. Für die deutsche Repräsentation beim Eurovision Song Contest kommt Xavier Naidoos Engagement einem politischen Statement gleich.