Verdienter Triumph
Conchita Wurst hat gewonnen. Das ist sensationell genug. Die meisten, die ich hier in den vergangenen Tagen in Kopenhagen sprechen konnte oder die mir Mails schickten, sagten dies: Ja, Conchita Wurst ist super, kann prima performen, sollte vorne liegen - aber Osteuropa werde nicht für sie sein. Die Wahrheit ist, dass von all diesen Annahmen nichts zutraf. Aus Russland gab es für die österreichische Dragqueen fünf Punkte, aus der Ukraine auch viele - eine Ost-West-Toleranz-Spaltung lässt sich aus dem ESC-Resultat des Grand Finals nach meinem Überblick nicht weiter behaupten.
Beachtlicher Vorsprung für die Wurst
Ähnlich war es vor 16 Jahren, als in Birmingham die Menge an Experten auch glaubte, Dana International könne nicht gewinnen, weil doch die Jurys und die Televoter eine Transsexuelle aus Israel nicht akzeptieren würden. Im Vergleich mit der Chanteuse von "Diva" hatte Conchita Wurst mit "Rise Like A Phoenix" einen beachtlichen Vorsprung von 52 Punkten. Wobei man sagen muss: Es ist nicht minder spektakulär, dass eine stilistisch ganz andere Nummer, die der holländischen Common Linnets, auf den zweiten Platz kam mit 238 Zählern. Sanna Nielsen aus Schweden, in den Wetten immer an der Spitze mit Armenien, wurde Dritte. Aram Mp3 erreichte den vierten Rang, was ihn allerdings enttäuschen muss - denn er kam mit dem Vorsatz an den Öresund, den Sieg zu erringen. Wer die Latte selbst so hoch legt, muss sich über Strauchler nicht wundern, offenbar.
Ungarns fünfter Platz ist ebenso verdient wie der sechste von Maria Yaremchuk, pikanterweise gleich dahinter die Tolmachevy-Schwestern aus Russland. Als Achter fand sich der Norweger Carl Espen wieder, als Neunter der Däne Basim. (Mein Tipp ging mit ihm schief: Er war trotzdem sehr, sehr gut im Finale.) Übel stieß mir diesmal auf, dass Russland bei jeder passenden Gelegenheit mit Pfiffen und Buhrufen bedacht wurde. Als es viele Punkte aus postsowjetischen Ländern gab, blökte das Publikum vernehmlich - das war unhöflich und verriet die gute Leistung auf der Bühne der beiden ESC-Aspirantinnen aus Russland. Eine zuvorkommende Behandlung würde es den russischen TV-Sendern leichter machen, für dieses europäisierende Pop-Event zu werben. Über Elaizas 18. Rang muss man nicht viele Worte verlieren: Ich finde, ein besserer Platz wäre schön gewesen. Sie waren im Finale so gut wie in keiner Probe von Kopenhagen zuvor. Die kurzfristigen Änderungen des Auftritts in letzter Minute haben sich gelohnt. Es sah einfach besser aus als das, was die dänische Regie sich ausgedacht hatte.
Eine Missionarin für Toleranz
Conchita Wursts Sieg steht für einen eurovisionären Kontinent, der sich von homophoben Kampagnen offenbar nicht in die Irre führen lässt. Sie ist charmant, sie war immer mehr als eine Ich-AG als Dragqueen - sie hatte eine Message, sie war eine Missionarin für die queere Sache, für Respekt und Toleranz. Und: Sie war auf der Bühne großartig in Form. Österreich kann stolz auf sie sein. Und Europa ohnehin!
P.S.: Nach den neuen Transparenzregeln können wir jetzt ja nachvollziehen, wer wie gestimmt hat. Das deutsche Publikum hat Conchita Wurst siegen lassen, beim Televoting der ARD lag sie auf auf dem ersten Rang. Die fünf Juroren und Jurorinnen werteten die spätere Siegerin auf Platz elf. Zusammen ergab das, so verkündete es auch die bezaubernde Helene Fischer, sieben Punkte. Die Jurywertung gewann Dänemark. Die Niederlande lagen in beiden Hälften auf dem zweiten Rang - und das machte zwölf Punkte aus Deutschland.